Leben mit Hirntumoren: Erfahrungen und Perspektiven

In dieser Podcast-Folge spricht der Gastgeber mit zwei Gästen, Jolijn Boer und Dr. Adak Pirmorady Sehouli, über das Thema Hirntumoren. Die Gäste haben unterschiedliche Verbindungen zu diesem Thema, da Jolijn Boer ihre Erfahrungen als Angehörige teilt, deren Vater an einem Glioblastom erkrankt ist, während Dr. Adak Pirmorady Sehouli eine professionelle Perspektive als Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie einbringt.

Die Folge beleuchtet, wie Menschen mit der Diagnose und Erkrankung an Hirntumoren umgehen. Jolijn Boer berichtet von ihren Erfahrungen als Tochter und wie sie mit der Erkrankung ihres Vaters umgegangen ist. Dr. Adak Pirmorady Sehouli gibt Ratschläge zur Bewältigung der Erkrankung aus psychologischer Sicht.

Das Gespräch berührt auch die Phasen der Krankheitsverarbeitung, wie sie im Kübler-Ross-Modell beschrieben sind. Diese Phasen umfassen Verhandeln, Verleugnen, Trauer, Wut und Akzeptanz. Es wird betont, dass die Reihenfolge variieren kann und nicht alle Phasen zwingend durchlaufen werden müssen.

Die Podcast-Folge endet mit einer Diskussion über psychologische Nachsorge und den Umgang mit der Erkrankung in Familien und im Freundeskreis. Es wird betont, wie wichtig es ist, Hilfe zuzulassen und sich zu öffnen, um Unterstützung anzunehmen.

Referenten:

Dr. med. Robert Armbrust (Oberarzt, Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie, Charité Berlin)

Jolijn Boer (Junior Projektmanagerin Klinische Studien) NOGGO e.V. Nord-Ostdeutsche Gesellschaft für Gynäkologische Onkologie

Dr. med. Adak Pirmorady Sehouli M.A.   (Vorsitzende der Europäischen Künstlergilde für Medizin und Kultur (www.eukmk.eu), Ärztin für Psychosomatik und Psychotherapie, Master of Arts, Kand. Psychoanalyse)

Erfahren Sie in dieser zweiten Folge unserer neuen Staffel wichtiges über das Thema Hirntumore.

Diese Folge des Krebspodcast wird unterstützt durch Novocure GmbH. Novocure ist jedoch nicht für den Inhalt des Vortrags verantwortlich. Thema und Inhalt obliegen der wissenschaftlichen Freiheit der Referenten

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Speaker 1 [00:00:04] Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, ich freue mich heute ganz besonders zwei wunderbare Gäste begrüßen zu dürfen in unserer Reihe zu Hirntumoren. Das ist einmal Dr. Adak Pirmorady Sehouli und Jolijn Boer. Wer die beiden sind, werden wir gleich erfahren, denn beide haben ganz unterschiedliche Verbindungen zu dem Thema Hirntumoren und auch dem Umgang damit. Und ich freue mich deswegen sehr, dass ihr beide heute erst mal da seid. Wir wollen uns heute damit beschäftigen, wie das Leben und der Umgang mit dieser Diagnose ist. Und zwar einmal so ein bisschen aus einer angehörigen Perspektive, aber auch aus einer professionellen Sicht. Ich denke, das ist ein Thema, was jeden berührt, der mit dieser Erkrankung zu tun hat und vor allem auch vielen Angehörigen interessiert. Deswegen freue ich mich sehr, dass ihr da seid. Und wie gesagt, ihr dürft euch gerne selber vorstellen. Wir können uns ja über andere Wege schon etwas länger. Herzlich willkommen.

Speaker 2 [00:00:51] Danke Robert. Ich bin Jolijn Boer. Ich bin 24 Jahre alt, von der Ausbildung Apothekerin und arbeite und promoviere im Bereich klinischer Studien. Ich habe das große Glück, dass ich einen super lieben und ganz besonders lustigen Papa hatte und das Pech, dass er an einem Glioblastom erkrankt ist und dieses Jahr auch daran verstorben ist.

Speaker 3 [00:01:17] Ja, mein Name ist Adak Pirmorady Sehouli. Ich bin Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Psychoanalytikerin und Kulturwissenschaftlerin und zurzeit bin ich an der Charite und leite die Psychosomatische Hochschulambulanz am Campus Charite Steglitz.

Speaker 1 [00:01:37] Am Campus Benjamin Franklin.

Speaker 3 [00:01:38] Benjamin Franklin, ja.

Speaker 1 [00:01:39] Ja, vielen Dank. Wir haben gerade schon gehört, dass du, Jolijn, Kontakt dazu hast. Aus privater Natur. Deswegen erst mal vielen Dank, dass du auch darüber redest. Meine Einstiegsfrage ist auch tatsächlich so ein bisschen Wie geht man mit der Erkrankung oder wie? Wie ging es? Wie war der primäre Umgang, als du davon gehört hast als Tochter. Und danach würde ich dann gerne von dir wissen, ob das so, ob das so deine Erfahrungen aus deinem Alltag auch widerspiegelt. Diese Art mit der Erkrankung umzugehen und zu erfahren.

Speaker 2 [00:02:07] Ich habe es tatsächlich nachts erfahren. Ich bin aufgewacht, weil ich davon geträumt hatte, so komisch das auch klingt und habe meine Mama angerufen und sie hat mir dann davon berichtet, dass mein Papa im Krankenhaus ist und dass sie da etwas in seinem Gehirn gefunden hatten und um vier Uhr nachts bin ich dann erstmal zusammengebrochen. Aber. Man hat ja am Anfang immer noch die Hoffnung, dass es noch vielleicht was Gutartiges ist oder es vielleicht doch irgendwie einen anderen Ausweg gibt. Und man versucht dann einfach mit der Situation so klarzukommen, dass man denkt, man muss ja sein normales Leben auch noch aufrechterhalten. Aber ich bin tatsächlich sehr oft nach Hause gefahren. Fast jedes Wochenende hatte dann den Spagat zwischen Berlin und einem kleinen Städtchen in Schrobenhausen. Und das war mein Umgang, dass ich einfach sehr oft nach Hause gefahren bin und versucht habe, einfach ganz oft da zu sein.

Speaker 1 [00:03:04] Was würdest du, Adak, Angehörigen empfehlen, die jetzt vielleicht hier so eine Geschichte erzählen und sagen Ich habe gerade erfahren, dass mein Vater, meine Mutter so eine Erkrankung hat als Diagnose.

Speaker 3 [00:03:13] Ich glaube, dass es wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass eine Glioblastom Erkrankung oder auch eine andere sehr, sehr schwere Erkrankung, die so einen Einschnitt bedeutet, die Beziehungsebene nicht verändern wird. Sie wird sie nicht verschlechtern, sie wird sie auch nicht verbessern. Das heißt, wir sind in so einer Situation sowohl als Angehörige, aber auch als Betroffene, in einer Situation, die wir neu denken müssen, mit dem Bewusstsein, dass das, was vorher da war, sich zumindest nicht verändern wird. Was sein kann, ist, dass so eine Erkrankung eine Möglichkeit ist, Beziehungen zu überdenken und sich zu fragen: Möchte ich das vielleicht an der Stelle intensivieren? Möchte ich das noch mal verändern? Möchte ich das noch mal klären, weil wir gerade bei dieser Erkrankung wissen, dass sie sehr schnell voranschreitet, dass weniger Zeit ist, als wir es sonst gewohnt sind. Wir als Ärzte möchten keine Prognosen aussprechen und Genesungsprozesse sind sehr individuell und unterschiedlich zu betrachten. Aber jeder und dazu muss man nicht Facharzt für Neurologie sein oder Neurochirurgie weiß, das bei so einer Diagnose nicht so viel Zeit ist und dann ist es eine Möglichkeit und gleichzeitig natürlich ein wahnsinniger Schock.

Speaker 1 [00:04:32] Wir haben bei Professor Vajkoczy gelernt, dass diese Diagnosen meistens zufällig oder im Rahmen von akut Ereignissen gestellt werden. Also häufig gibt es einen Krampfanfall oder irgendetwas, was die Patienten sofort quasi aus ihrem Alltag herausreißt. Und deswegen würde mich mal interessieren, was du für ein Gefühl hattest, dein Vater stand ja wahrscheinlich im Leben, was das für einen Einfluss auf seinen Alltag hatte. Das heißt, wie stark verändert es den Alltag, wenn man mit so einer Erkrankung lebt?

Speaker 2 [00:04:56] Sein größter Einschnitt im Leben war wahrscheinlich, dass er nicht mehr Autofahren durfte. Erst mal nach der OP darf man für drei Monate nicht mehr ins Auto und er ist ein großer Oldtimer Liebhaber und generell sehr Auto begeistert. Und das, er hat auch in seiner Freizeit immer an Oldtimern rumgeschraubt und das hat ihm seine ganze Lebensfreude eigentlich genommen, weil er das nicht mehr machen konnte. Das war vielleicht spezifisch für ihn, aber er konnte dann auch nicht mehr arbeiten gehen, weil er nicht mehr in die Arbeit konnte mit dem Auto. Nach den drei Monaten ist er dann wieder tatsächlich arbeiten gegangen. Bis zum Sommer noch, also noch ein paar Monate und hat so getan, als wäre alles in Ordnung. Aber irgendwann landet man auch in den, also kann man nicht mehr gehen, kann man nicht mehr laufen, kann man nicht mehr alleine essen und man landet dann auch schnell in den höheren Pflegegraden. Also das geht dann auch relativ schnell, dass man eben nichts mehr kann. Und da muss man vielleicht die Zeit, die man bis dahin noch hat, aber gut nutzen und dann noch was draus machen.

Speaker 1 [00:05:59] Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, dass man eben häufig Dinge, die einem persönlich sehr wichtig sind, nicht mehr machen kann. Bei dem einen ist es die Arbeit, bei dem anderen vielleicht eben dieses Hobby. Was würdest du da jetzt aus deiner psychologischen Sicht Patienten oder Angehörigen raten, wie sie damit umgehen? Es ist ja sehr belastend. Das ist ja manchmal auch aus meiner Erfahrung mehr belastend als die Erkrankung selber, dass man eben bestimmte Dinge, die fest dazugehören, nicht mehr machen kann. Also auch, dass einem etwas weggenommen wird, dass man das Gefühl hat, man ist jetzt ausgeliefert dieser Erkrankung. Man kann nichts machen. Und gerade wenn man vielleicht auch bei einer Hirntumor Erkrankung nicht mehr laufen kann, wie geht man damit um oder wie? Was sind die Herausforderungen?

Speaker 3 [00:06:35] Ich glaube ein guter Rückschluss, den man ziehen kann, ist, dass man Routine erhält. Und ihr habt ja gerade beide berichtet. Routine fällt weg, weil einfach körperlich nicht mehr das möglich ist, was vorher möglich ist. Ich glaube, ein verkehrter Schluss ist und manchmal ziehen den Patienten und auch Angehörige, dass sie sagen okay, jetzt erst recht, jetzt hauen wir auf die Pauke, jetzt muss ich noch mal leben. Und mein Ratschlag ist, auch wenn ich kein Fan von Ratschlägen bin, aber die Empfehlung ist Versuch doch, die Routine, die da war, zu leben und die Routine, die noch möglich ist, zu erhalten. Und auch das Verhalten deines Vaters, dass er erstmal dann weiter gemacht hat, als er konnte. Körperlich. Das war, glaube ich, ganz wichtig. Das ist ein Verarbeitungsmechanismus, sich selbst zu stabilisieren, indem man sagt: okay, das funktioniert noch, das geht. Solange es geht, mache ich das noch mal, das ist meine tägliche Routine. Das gibt mir ein Gerüst, eine Stabilität. Das heißt, der erste Punkt ist, durch das Wegfallen von Fähigkeiten sollte man versuchen, dann die, die noch da sind. Und dafür braucht man manchmal auch Angehörige, zu pflegen. Und das Zweite ist: Wie gehe ich damit um? Du hast davon gesprochen, dass man gefangen ist in der Erkrankung. Ich glaube, dass das eine Tatsache ist, die wir alle kennen, gefangen zu sein in Strukturen. Und natürlich ist sie uns nicht so gewahr wie jemanden, der akut erkrankt, der sich damit auseinandersetzen muss. Und dieses Muss ist, glaube ich, der Unterschied. Wir haben keinen Ausweg mehr in dem Moment oder der Patient hat keinen Ausweg. Und da gibt es ganz unterschiedliche Verarbeitungsmechanismen, die man nutzen kann. Es gibt Übungen, die man machen kann und es kommt immer auf den Menschen drauf an, wie der strukturiert ist. Es gibt Menschen, die brauchen eine Anleitung und dann können sie sich mit der Anleitung hinsetzen, machen Atemübungen und es hilft ihnen. Andere wiederum nutzen den Raum, um selbstreflektiert zu sein, vielleicht noch mal die Beziehungsebene zu suchen, mit Angehörigen und Freunden. Und wieder der Dritte braucht die Natur und geht raus. Und ich glaube, das ist ein guter Moment, um zu gucken, was im individuellen Fall das Richtige wäre.

Speaker 2 [00:08:48] Und vielleicht auch einfach das, während man weiß, ich mochte Fahrradfahren so gerne, dass man vielleicht aufs eBike umsteigt oder dass, wenn man gerne in die Berge fährt und wandern geht, dass man mit der Seilbahn stattdessen hochfährt, also dass man trotzdem schaut, dass man Aktivitäten irgendwie weiterhin macht, aber eine leichtere Variante findet.

Speaker 1 [00:09:07] Die es ja häufig gibt. Also das ist auch meine Erfahrung. Das ist ja selten so ist, dass man Dinge gar nicht mehr kann. Also meine Erfahrung ist, dass dann häufig auch das aber glaube ich, ein psychologischer Abwehrmechanismus, Patienten in Schwarz Weiß Denken verfallen. Also entweder es gibt das eine oder das andere oder das geht so oder, oder so nicht. Das finde ich, finde ich auch wichtig, dass man sich über diese Alternativen Gedanken macht. Was ich noch mal fragen wollte Dich als Expertin. Wir wissen ja, dass es Krankheitsverarbeitungen ganz unterschiedlich gibt. Aber wir wissen ja eigentlich auch, dass es verschiedene Phasen gibt, die man, die man durchläuft. Und da gibt es ja das Krankheitsverarbeitungsmodell nach Kübler Ross, ist es überhaupt noch aktuell? Daran kann ich mich noch erinnern, aus dem Studium, Wie, wie, wie sind denn so die Phasen, dass du vielleicht auch kurz jemanden skizzieren kannst? Okay, das und das sind erstmal normale Reaktionen, wenn man so, so eine Schock Diagnose bekommt oder,  oder wenn man was schreckliches erlebt oder krank ist wie, wie was macht und was passiert mit unserem Gehirn oder unserer Psyche?

Speaker 3 [00:10:02] Ja Robert, das Modell nach Kübler Ross ist topaktuell. Also ich arbeite sehr gerne mit diesem Modell einer Schweizer, dann später US-amerikanischen Psychiaterin, die dieses Modell entworfen hat, weil sie mit Patienten gearbeitet hat, die ja im Sterben lagen. Und im Endeffekt geht es um die Akzeptanz, auch des Zustandes. Aber Akzeptanz ist etwas, was wir immer brauchen. Und sie hat beschrieben, dass es diese Stadien gibt, die wir nacheinander durchlaufen, um in die Akzeptanz zu gelangen. Und dazu gehört zum Beispiel das Verhandeln. Also die erste Reaktion sei das Verhandeln, wo wir versuchen, noch mal, ist es denn wirklich so? Vielleicht haben die Ärzte falsch gekuckt, kann man noch mal ein CT oder ein MRT machen? Kann man das noch einmal überprüfen? Der Verhandlungsmodus? Dann kommt ein Verleugnen, dass man sagt, nein, das kann nicht sein, das bin nicht ich, das muss verwechselt sein. Dann gibt es den Modus der Trauer, dass man registriert, es ist wie es ist. Und die Reihenfolge kann auch unterschiedlich sein. Also es ist nicht so ein Paradigma, es geht so und so, Frau Kübler Ross hat auch nur fünf Stadien beschrieben. Dann kommt die Wut auch noch dazu, dass nach der Trauer man so eine extreme Wut hat auf Gott, auf das Universum, auf den Arzt, der falsch behandelt hat und alles entwerten muss. Und dann erst kommt die Akzeptanz. Und ich finde das Modell sehr, sehr hilfreich, habe aber auch in meiner Arbeit festgestellt, dass es nicht immer diese Stadien sein müssen, sondern dass es abhängig von der Person noch 1000 andere Sachen geben kann. Also für manche ist die Phase des Verhandelns ganz wichtig. Für Menschen, die ihr ganzes Leben lang gewohnt sind, in Verhandlung zu sein, die verharren dort vielleicht. Andere kosten die Wut aus, weil sie es können. Was ein großes Problem aber ist, ist eigentlich Trauer und, und auch eben Wut, weil Wut zu empfinden ist unglaublich schwer. Also wir lernen eigentlich die ganze Zeit, dass wir unsere Wut eher zurücknehmen. Wir sind ja ein gebildetes Volk, wir sind Akademiker, wir sind das Volk der Dichter und Denker. Man wird nicht wütend oder cholerisch. Das wird dann gleich so empfunden, auch auf der Straße. Man will ja nicht, dass es zu Konflikten kommt oder hat dann die Idee, der andere zückt dann ein Messer und dann war’s das. Also diese Gesprächskultur ist enorm eingeschränkt durch eine ganz große Hemmung, wütend zu sein und auch vielleicht sogar die Idee, dass wir dann zerstörerisch werden könnten, was ja gar nicht der Fall ist. Wut ist unglaublich wichtig, weil Wut ist notwendig, um in den Aktivismus zu kommen. Und auch Aktivismus brauchen wir zur Krankheitsverarbeitung.

Speaker 1 [00:12:46] Vielen Dank. Kannst du das ungefähr so sage ich mal nachempfinden, ob es diese Phasen vielleicht auch bei dir selber gab? Also dass man eben erst so eine so eine gewisse Phase hat, wo man auch überlegt, kann das sein? Trifft mich das wirklich? Bei mir selber habe ich das zum Teil auch manchmal wirklich bei Patientinnen von mir, zu denen man irgendwie eine Art von Beziehung hat, dass man sich denkt, das kann jetzt eigentlich nicht sein, dass das irgendwie so, so schlimm ist oder auch andersherum, kann ja auch mal gut sein. Also ich, ich musste selber schon erkennen, dass es diese Verarbeitungsphasen gibt.

Speaker 2 [00:13:16] Ich glaube, obwohl man weiß, dass das Glioblastom unausweichlich zum Tod führt, habe ich trotzdem bis zum Schluss noch an das Wunder geglaubt. Und das braucht dann einen ganz ausgeprägten Optimismus oder eine ganz starke Naivität. Aber ich glaube, diese Phase von Ich will es nicht wahrhaben war vermutlich die, die sich die ganze Zeit durchgezogen hat. Wut hatte ich persönlich nicht. Vielleicht auch, wenn man es, wenn man es nicht richtig zulässt. Das weiß ich nicht. Es war hauptsächlich das nicht wahrhaben. Und dann die Trauer, die phasenweise dann immer sehr stark war. Und dann, wenn man sich ein bisschen abgelenkt hat oder dann vielleicht die schöne Seite der Erkrankung, wenn es überhaupt eine gibt. Aber dass man eben so viel Zeit miteinander verbringen kann, wenn man das sieht, dass die Trauer ein bisschen abflacht.

Speaker 1 [00:14:12] Da würde ich auch schon zu meinem nächsten Thema kommen. Das ist das der psychologischen Nachsorge. So haben wir es genannt. Also wie wir gerade gemerkt haben, sind es ja Prozesse, die nicht einfach vorbei sind, dass egal in welcher Krankheitsphase man sich befindet, auch als Patient selber oder eben als Angehöriger. Deswegen war so ein bisschen meine Frage auch an euch beide, wie, wie sollte das denn weiter betreut werden? Und vor allem wie können auch Angehörige und Patienten.. was sind Anlaufstellen? Wo findet man denn überhaupt jemanden, der einem dabei helfen kann?

Speaker 2 [00:14:39] Psychologische Nachsorge? Ich weiß nicht, ob ich das Wort verwenden würde. Es gibt natürlich auch Hirntumore, wo die Prognose ein bisschen länger ist. Aber bei dem häufigsten Hirntumor, dem Glioblastom, ist es ja so, dass die Prognose bei etwa einem Jahr liegt und Nachsorge ist… Das muss eigentlich von Tag eins passieren. Also sobald.. Fürsorge ist vielleicht das bessere Wort, das man schon am Tag der Operation oder vorher schon, dass jemand sich ans Bett setzt und da Hilfestellung gibt. Und dass man da schaut, dass der Patient von Tag eins und vielleicht sogar auch die Angehörigen begleitet werden.

Speaker 1 [00:15:19] Und da hattest du das Gefühl, dass das angeboten wird, weil zum Beispiel in der Gynäkologie kann ich nur sagen, da sind wir eigentlich so, und ich denke, das ist eigentlich in der gesamten Onkologie so, dass man natürlich frühzeitig versucht, Patientinnen psycholonkologisch zu betreuen und zu mit zu begleiten. Klar, das ist natürlich nicht immer einfach umsetzbar, aber das klang jetzt so ein bisschen so, als hättest du nicht so das Gefühl gehabt, dass das Teil gewesen wäre oder noch ausbaufähig ist.

Speaker 2 [00:15:45] Es war auch nicht Teil, aber das liegt hauptsächlich daran, dass mein Papa das auch nicht wollte. Vermutlich auch, weil er in einer depressiven Phase war und man da aber gerade die Person an die Hand hätte nehmen müssen und sagen müssen: ich zwinge dich, Was wir aber nicht gemacht haben. Und das ist natürlich immer schwer, wenn jemand sagt Ich brauche das nicht, ich will das nicht, macht man es dann trotzdem oder wie, wie geht man damit um?

Speaker 3 [00:16:11] Ich glaube, das ist wichtig, dass man den Mensch respektiert oder den Menschen respektiert, weil das ist seine Art und er braucht das so und es ist in Ordnung. Es ist ja kein Prozess, wo es darum geht, eine Prüfung zu überstehen oder sich zu überwinden, wieder in die U-Bahn einzusteigen. Das sind so Schritte, die auch entwicklungstechnisch wichtig sind. Wenn ein Kind in der Pubertät plötzlich eine Angststörung entwickelt, wo dann die Eltern übernehmen müssen und sagen müssen, wir müssen jetzt was tun. Aber in dem Falle und gerade, wie du es gesagt hast, Jolijn mit der Perspektive der Prognose und eure Aufgabe der Begleitung ist das, glaube ich genau das, was er gebraucht hat und alles andere hätte mit ihm was gemacht, was er nicht ist. Und ich glaube, darauf kommt es am allermeisten an in dieser Zeit, dass man das Gegenüber respektiert. Respekt und Liebe sind wahrscheinlich die größten Reichtümer, die man in so einer relativ kurzen Zeit miteinander austauschen kann. Und deswegen sagte ich eingangs, dass die Beziehung, die vorher da war, auch eine entscheidende Rolle spielt, weil auch das kann man nur, wenn man sich kennt, wenn man sich respektiert, wenn man zu Lebzeiten miteinander in guter Beziehung war. Und dann funktioniert das auch besser. Und dann macht man es auch intuitiv so, obwohl man weiß, er ist depressiv und könnte jemanden gebrauchen. Aber was macht jetzt ein Vierter im System, der dazukommt? Was fühlt er auf?

Speaker 1 [00:17:41] Absolut, absolut. Ich würde noch mal kurz von der Familie ein bisschen mehr so zu Freunden zurückgehen. Es kann ja auch mal so sein, dass man im Freundeskreis jemanden hat mit so einer Erkrankung oder man selber erkrankt. Und da würde mich von euch beiden mal interessieren, wie würdet ihr das empfehlen? Also aus der eigenen Erfahrung, aus deiner psychologischen Perspektive? Wie sagt man es denn seinen Freunden? Und du hast gerade gesagt, der Mensch soll so respektiert werden wie er ist und da ist ja auch jeder Mensch anders. Es gibt ja.. nicht jeder redet ja gerne über sich und erst recht nicht über so was. Ich wüsste gar nicht, ehrlich gesagt auch nicht so sage ich jetzt einfach Wem sage ich es? Vor allem und vor allem auch wie?

Speaker 2 [00:18:16] Ich glaube, da gibt es kein Richtig. Also da muss man einfach machen, was man selber gerade braucht. Der eine möchte vielleicht darüber reden, weil es einem dann gut tut, seine Sorgen loszuwerden und der andere möchte es vielleicht lieber für sich behalten, weil er nicht als schwach – oder als auch wenn es natürlich keine Schwäche ist – angesehen werden möchte. So war das bei meinem Papa und der hat immer, auch wenn es Leute wussten und sie gefragt haben Wie geht es ihm? Hat er immer gesagt Super! Und wie geht’s dir? Und ist gar nicht drauf eingegangen. Und meine Mutter dagegen, die hat das mehr gebraucht, dass sie das mit ihrer Familie und mit ihren Freunden besprochen hat und das hat ihr gut getan. Und das kann natürlich zum Konflikt führen, wenn der eine das so möchte und der andere so, aber da muss man das wahrscheinlich einfach akzeptieren, dass man da eine unterschiedliche Sichtweise hat und das anders handhaben möchte.

Speaker 3 [00:19:11] Ich glaube auch für diese Entscheidung, wem teile ich es mit, wie teile ich es mit, wann  teile ich es mit, gehört eine gesunde Abgrenzungsfähigkeit und auch ein beständiger stabiler Binnenraum und auch den Leider schafft man sich eigentlich bevor man so eine Diagnose..

Speaker 1 [00:19:25] Was ist denn stabiler beständiger Binnenraum?

Speaker 3 [00:19:27] Ja, hört sich gut an, oder?

Speaker 1 [00:19:29] Also ich kann mir was unter vorstellen, aber ja.

Speaker 3 [00:19:32] Wenn wir in dem Thema Grenzen denken und Abgrenzungsfähigkeit, bedeutet es ja, wenn es eine Grenze gibt, gibt es innen und Außen und der Binnenraum, der beständige Binnenraum ist der Raum erst mal, den du für dich hast und in dem du fühlst und denkst, bevor du jemanden von außen an deine Gefühle lässt. Also Kinder zum Beispiel haben nicht viel Binnenraum, den entwickeln sie mit der Zeit, weil sie sofort kommen und sagen, sie freuen sich wahnsinnig. Sie sagen Ich will jetzt den Lutscher, da gibt es nicht so viel Puffer oder Binnenraum. Als Erwachsene lernen wir, dass das auch ein Selbstschutz bedeutet, wenn wir nicht sofort ungefiltert alles teilen. Also ich für meine Verhältnisse könnte das manchmal besser machen. Das kenne ich. Aber grundsätzlich macht es natürlich Sinn, weil du ja nicht überall in einem wohlgesinnten Gefüge dich auch befindest. Aber je nachdem, wie du mit Nähe, Distanz und Grenzsetzung vorher umgegangen bist, so wird dir eine sichere Nähe Distanz Regulation in dem Moment sehr helfen, intuitiv zu entscheiden. Weil es gibt ja auch Freunde und das weiß man in der Regel, weil man seine Freunde kennt. Die sind wahnsinnig hilfsbereit aber überstülpend und so was tut dir vielleicht in dem Moment gar nicht gut, wenn derjenige sofort weiß, ich weiß, was das Beste ist und wir machen jetzt einen Plan und und du selber bist vielleicht ein eher intuitiver Mensch, der dieses zwanghafte Struktur Gebende in dem Moment gar nicht braucht. Deswegen ist es lohnenswert, sich schon im Vorfeld immer fürs Leben Gedanken zu machen, um Nähe, Distanz Regulation und auch Abgrenzung Fähigkeit, um auf diese Fähigkeiten in so einer Situation, wenn es dann brenzlig wird oder sehr eng zurückgreifen zu können.

Speaker 2 [00:21:16] Ich glaube, dass es super wichtig ist, dass man Hilfe zulässt, also dass, auch wenn der Palliativ Dienst ins Spiel kommt, dass man weiß, man kann sich an ihn wenden und man darf auch den Arzt fünfmal fragen, wenn man es nicht verstanden hat. Und dass man keine Scheu hat zu sagen Ich brauche die Hilfe und ich nehme sie auch diesmal einfach an, weil die Zeit ist sowieso so kurz, da hat man keine Zeit, sich ausführlich zu informieren, da verbringt man doch lieber die Zeit mit dem Betroffenen.

Speaker 3 [00:21:50] Ich würde auch sagen sich öffnen ist der erste Schritt. Und wenn man es ausprobiert, erfährt man auch, dass allein der Schritt des Öffnens schon ein Stück Heilung herbeiführen kann. Und deswegen ist das für mich als Psychotherapeutin das Wichtigste.

Speaker 1 [00:22:04] Sehr schön. Vielen, vielen Dank! Ja, vielen Dank erst mal euch beiden fürs Gespräch. Gerne, keine einfachen Themen. Vielen Dank!

Speaker 2 [00:22:10] Danke auch an euch.

Speaker 1 [00:22:17] Dieser Podcast wurde mit der Unterstützung der Novocure GmbH erstellt.